Die Erbsenprobe
Es war einmal ein König, der hatte einen einzigen Sohn, der wollte sich gern vermählen, und bat seinen Vater um eine Frau. ’Dein Wunsch soll erfüllt werden, mein Sohn,’ sagte der König, ’aber es will sich nicht schicken, daß du eine andere nimmst als eine Prinzessin, und es ist gerade in der Nähe eine zu haben. Indessen will ich es bekannt machen lassen, vielleicht meldet sich eine aus der Ferne.’ Es ging also ein offenes Schreiben aus, und es dauerte nicht lange, so meldeten sich Prinzessinnen genug. Fast jeden Tag kam eine, wenn aber nach ihrer Geburt und Abstammung gefragt wurde, so ergab sichs daß es keine Prinzessin war, und sie mußte unverrichteter Sache wieder abziehen. ’Wenn das so fortgeht,’ sagte der Prinz, ’so bekomm ich am Ende gar keine Frau.’ ’Beruhige dich, mein Söhnchen,’ sagte die Königin, ’eh du dichs versiehst, so ist eine da; das Glück steht oft vor der Thüre, man braucht sie nur aufzumachen.’
Es war wirklich so, wie die Königin gesagt hatte. Bald hernach, an einem stürmischen Abend, als Wind und Regen ans Fenster schlugen, ward heftig an das Thor des königlichen Palastes geklopft. Die Diener öffneten, und ein wunderschönes Mädchen trat herein, das verlangte gleich vor den König geführt zu werden. Der König wunderte sich über den späten Besuch, und fragte sie woher sie käme, wer sie wäre und was sie begehre. ’Ich komme aus weiter Ferne,’ antwortete sie, ’und bin die Tochter eines mächtigen Königs. Als eure Bekanntmachung mit dem Bildnis eures Sohnes in meines Vaters Reich gelangte, habe ich heftige Liebe zu ihm empfunden und mich gleich auf den Weg gemacht, in der Absicht seine Gemahlin zu werden.’ ’Das kommt mir ein wenig bedenklich vor,’ sagte der König, ’auch siehst du mir gar nicht aus wie eine Prinzessin. Seit wann reist eine Prinzessin allein ohne alles Gefolge und in so schlechten Kleidern?’ ’Das Gefolge hätte mich nur aufgehalten,’ erwiderte sie, ’die Farbe an meinen Kleidern ist in der Sonne verschossen, und der Regen hat sie vollends herausgewaschen. Glaubt ihr nicht daß ich eine Prinzessin bin, so sendet nur eine Botschaft an meinen Vater.’ ’Das ist mir zu weitläuftig,’ sagte der König, ’eine Gesandtschaft kann nicht so schnell reisen, wie du. Die Leute müssen die nöthige Zeit dazu haben; es würden Jahre vergehen, ehe sie wieder zurück kämen. Kannst du nicht auf andere Art beweisen, daß du eine Prinzessin bist, so blüht hier dein Waizen nicht, und du thust besser je eher je lieber dich wieder auf den Heimweg zu machen.’ ’Laß sie nur bleiben,’ sagte die Königin,’ich will sie auf die Probe stellen, und will bald wissen ob sie einePrinzessin ist.’ Die Königin stieg selbst den Thurm hinauf, und ließ in einem prächtigen Gemach ein Bett zurecht machen. Als die Matratze herbeigebracht war,legte sie drei Erbsen darauf, eine oben hin, eine in die Mitte und eine untenhin, dann wurden noch sechs weiche Matratzen darüber gebreitet, Linnentücher und eine Decke von Eiderdunen. Wie alles fertig war, führte sie das Mädchen hinauf in die Schlafkammer. ’Nach dem weiten Weg wirst du müde sein, mein Kind,’ sagte sie, ’schlaf dich aus: Morgen wollen wir weiter sprechen.’ Kaum war der Tag angebrochen, so stieg die Königin schon denThurm hinauf in die Kammer. Sie dachte das Mädchen noch in tiefem Schlaf zufinden, aber es war wach. ’Wie hast du geschlafen, mein Töchterchen?’ fragte sie. ’Erbärmlich,’ antwortete die Prinzessin, ’ich habe die ganze Nacht kein Auge zugethan.’ ’Warum ? mein Kind, war das Bett nicht gut?’ ’In einem solchen Bett habe ich mein Lebtag noch nicht gelegen, hart vom Kopf bis zu den Füßen; es war als wenn ich auf lauter Erbsen läge.’ ’Ich sehe wohl,’ sagte die Königin, ’du bist eine echte Prinzessin. Ich will dir königliche Kleiderschicken, Perlen und Edelsteine: schmücke dich wie eine Braut. Wir wollen nochheute die Hochzeit feiern.
Der gestiefelte Kater
Es war einmal ein Müller,
der hatte drei Söhne, seine Mühle, einen Esel und einen Kater.
Die Söhne mussten mahlen,
der Esel Getreide holen und Mehl forttragen,
die Katze dagegen die Mäuse wegfangen.
Als der Müller starb, teilten sich die drei Söhne in die Erbschaft:
der älteste bekam die Mühle, der zweite den Esel, der dritte den Kater;
weiter blieb nichts für ihn übrig.
Da war er traurig und sprach zu sich selbst:
»Mir ist es doch recht schlimm ergangen,
mein ältester Bruder kann mahlen,
mein zweiter auf seinem Esel reiten –
was kann ich mit dem Kater anfangen?
Ich lasse mir ein Paar Pelzhandschuhe aus seinem Fell machen,
dann ist's vorbei.«
»Hör«, fing der Kater an, der alles verstanden hatte,
»du brauchst mich nicht zu töten,
um ein Paar schlechte Handschuhe aus meinem Pelz zu kriegen;
lass mir nur ein Paar Stiefel machen,
dass ich ausgehen und mich unter den Leuten sehen lassen kann,
dann soll dir bald geholfen sein.«
Der Müllersohn verwunderte sich, dass der Kater so sprach;
weil aber eben der Schuster vorbeiging,
rief er ihn herein und ließ ihm die Stiefel anmessen.
Als sie fertig waren, zog sie der Kater an,
nahm einen Sack, machte dessen Boden voll Korn,
band aber eine Schnur drum, womit man ihn zuziehen konnte,
dann warf er ihn über den Rücken
und ging auf zwei Beinen, wie ein Mensch, zur Tür hinaus.
Damals regierte ein König im Land, der aß so gerne Rebhühner:
es war aber eine große Not,
dass keine zu kriegen waren.
Der ganze Wald war voll, aber sie waren so scheu,
dass kein Jäger sie erreichen konnte.
Das wusste der Kater, und gedachte seine Sache besser zu machen;
als er in den Wald kam, machte er seinen Sack auf,
breitete das Korn auseinander,
die Schnur aber legte er ins Gras und leitete sie hinter eine Hecke.
Da versteckte er sich selber, schlich herum und lauerte.
Die Rebhühner kamen bald gelaufen, fanden das Korn –
und eins nach dem andern hüpfte in den Sack hinein.
Als eine gute Anzahl drinnen war,
zog der Kater den Strick zu,
lief herbei und drehte ihnen den Hals um;
dann warf er den Sack auf den Rücken
und ging geradewegs zum Schloß des Königs.
Die Wache rief: »Halt! Wohin?« –
»Zum König!« antwortete der Kater kurzweg.
»Bist du toll, ein Kater und zum König?« –
»Lass ihn nur gehen«, sagte ein anderer,
»der König hat doch oft Langeweile,
vielleicht macht ihm der Kater mit seinem Brummen und Spinnen Vergnügen.«
Als der Kater vor den König kam,
machte er eine tiefe Verbeugung und sagte:
»Mein Herr, der Graf« –
dabei nannte er einen langen und vornehmen Namen –
»lässt sich dem Herrn König empfehlen und schickt ihm hier Rebhühner«;
Da wusste sich der König vor Freude nicht zu fassen
und befahl dem Kater,
soviel Gold aus der Schatzkammer in seinen Sack zu tun,
wie er nur tragen könne:
»Das bringe deinem Herrn,
und danke ihm vielmals für sein Geschenk.«
Der arme Müllersohn aber saß zu Haus am Fenster,
stützte den Kopf auf die Hand und dachte,
dass er nun sein letztes Geld für die Stiefel des Katers weggegeben habe,
und der ihm wohl nichts besseres dafür bringen könne.
Da trat der Kater herein,
warf den Sack vom Rücken,
schnürte ihn auf und schüttete das Gold vor den Müller hin:
»Da hast du etwas Gold vom König,
der dich grüßen lässt und sich für die Rebhühner bei dir bedankt.«
Der Müller war froh über den Reichtum,
ohne dass er noch recht begreifen konnte, wie es zugegangen war.
Der Kater aber, während er seine Stiefel auszog, erzählte ihm alles;
dann sagte er:
»Du hast jetzt zwar Geld genug,
aber dabei soll es nicht bleiben;
morgen ziehe ich meine Stiefel wieder an,
dann sollst du noch reicher werden;
dem König habe ich nämlich gesagt, dass du ein Graf bist.«
Am andern Tag ging der Kater,
wie er gesagt hatte, wohl gestiefelt, wieder auf die Jagd,
und brachte dem König einen reichen Fang.
So ging es alle Tage,
und der Kater brachte alle Tage Gold heim
und ward so beliebt beim König,
dass er im Schlosse ein- und ausgehen durfte.
Einmal stand der Kater in der Küche des Schlosses beim Herd und wärmte sich,
da kam der Kutscher und fluchte:
»Ich wünsche, der König mit der Prinzessin wäre beim Henker!
Ich wollte ins Wirtshaus gehen,
einmal einen trinken und Karten spielen,
da sollt ich sie spazierenfahren an den See.«
Wie der Kater das hörte,
schlich er nach Haus und sagte zu seinem Herrn:
»Wenn du ein Graf und reich werden willst,
so komm mit mir hinaus an den See und bade darin.«
Der Müller wusste nicht, was er dazu sagen sollte,
doch folgte er dem Kater, ging mit ihm,
zog sich splitternackt aus und sprang ins Wasser.
Der Kater aber nahm seine Kleider, trug sie fort und versteckte sie.
Kaum war er damit fertig, da kam der König dahergefahren;
der Kater fing sogleich an, erbärmlich zu lamentieren:
»Ach! Allergnädigster König!
Mein Herr, der hat sich hier im See zum Baden begeben,
da ist ein Dieb gekommen
und hat ihm die Kleider gestohlen, die am Ufer lagen;
nun ist der Herr Graf im Wasser und kann nicht heraus,
und wenn er sich noch länger darin aufhält,
wird er sich erkälten und sterben.«
Wie der König das hörte, ließ er anhalten
und einer seiner Leute musste zurückjagen
und von des Königs Kleider holen.
Der Herr Graf zog dann auch die prächtigen Kleider an,
und weil ihm ohnehin der König wegen der Rebhühner,
die er meinte, von ihm empfangen zu haben,
gewogen war,
so musste er sich zu ihm in die Kutsche setzen.
Die Prinzessin war auch nicht bös darüber,
denn der Graf war jung und schön,
und er gefiel ihr recht gut.
Der Kater aber war vorausgegangen
und zu einer großen Wiese gekommen,
wo über hundert Leute waren und Heu machten.
»Wem gehört die Wiese, ihr Leute?« fragte der Kater.
»Dem großen Zauberer,« antworteten die Leute.
»Hört, jetzt wird gleich der König vorbeifahren,
wenn er wissen will, wem die Wiese gehört,
so antwortet: dem Grafen;
und wenn ihr das nicht tut,
so werdet ihr alle erschlagen.«
Darauf ging der Kater weiter und kam an ein Kornfeld,
so groß, dass es niemand übersehen konnte;
da standen mehr als zweihundert Leute und schnitten das Korn.
»Wem gehört das Korn, ihr Leute?« –
»Dem Zauberer,« antworteten sie.
»Hört, jetzt wird gleich der König vorbeifahren,
wenn er wissen will, wem das Korn gehört,
so antwortet: dem Grafen;
und wenn ihr das nicht tut,
so werdet ihr alle erschlagen.«
Schließlich kam der Kater an einen prächtigen Wald,
da standen mehr als dreihundert Leute,
fällten die großen Eichen und machten Holz.
»Wem gehört der Wald, ihr Leute?« –
»Dem Zauberer.« –
»Hört, jetzt wird gleich der König vorbeifahren,
wenn er wissen will, wem der Wald gehört,
so antwortet: dem Grafen;
und wenn ihr das nicht tut,
so werdet ihr alle erschlagen.«
Der Kater ging noch weiter,
die Leute sahen ihm alle nach,
und weil er so wunderlich aussah,
und wie ein Mensch in Stiefeln daherging,
fürchteten sie sich vor ihm.
Er kam bald an des Zauberers Schloß,
trat keck hinein und vor diesen hin.
Der Zauberer sah ihn verächtlich an,
dann fragte er ihn, was er denn wolle.
Der Kater verbeugte sich tief und sagte:
»Ich habe gehört,
dass du dich in jedes Tier ganz nach deinem Belieben verwandeln könntest;
was einen Hund, Fuchs oder auch Wolf betrifft,
da will ich es wohl glauben,
aber von einem Elefant, das scheint mir ganz unmöglich,
und deshalb bin ich gekommen, um mich selbst zu überzeugen.«
Der Zauberer sagte stolz:
»Das ist für mich eine Kleinigkeit«,
und war in dem Augenblick in einen Elefanten verwandelt.
»Das ist viel«, sagte der Kater, »aber auch in einen Löwen?« –
»Das ist auch nichts«, sagte der Zauberer,
dann stand er als Löwe vor dem Kater.
Der Kater stellte sich erschrocken und rief:
»Das ist unglaublich und unerhört,
dergleichen hätt ich mir nicht im Traume in die Gedanken kommen lassen;
aber noch mehr, als alles andere, wär es,
wenn du dich auch in ein so ganz kleines Tier,
wie eine Maus ist, verwandeln könntest.
Du kannst gewiss mehr, als irgendein Zauberer auf der Welt,
aber das wird dir doch zu schwierig sein.«
Der Zauberer ward ganz freundlich von den süßen Worten und sagte:
»O ja, liebes Kätzchen, das kann ich auch«,
und sprang als eine Maus im Zimmer herum.
Der Kater war hinter ihm her,
fing die Maus mit einem Satz und fraß sie auf.
Der König aber war mit dem Grafen und der Prinzessin weiter spazierengefahren,
und kam zu der großen Wiese.
»Wem gehört das Heu?« fragte der König.
»Dem Herrn Grafen«, riefen alle, wie der Kater ihnen befohlen hatte.
»Ihr habt da ein schön Stück Land, Herr Graf«, sagte der König.
Danach kamen sie an das große Kornfeld.
»Wem gehört das Korn, ihr Leute?« –
»Dem Herrn Grafen.« –
»Ei! Herr Graf! Große, schöne Ländereien!« –
Darauf kamen sie zu dem Wald:
»Wem gehört das Holz, ihr Leute?« fragte der König.
»Dem Herrn Grafen.«
Der König verwunderte sich noch mehr und sagte:
»Ihr müsst ein reicher Mann sein, Herr Graf,
ich glaube nicht, dass ich einen so prächtigen Wald habe.«
Schließlich kamen sie an das Schloß,
der Kater stand oben an der Treppe,
und als der Wagen unten hielt,
sprang er herab, machte die Türe auf und sagte:
»Herr König, Ihr gelangt hier in das Schloß meines Herrn, des Grafen,
den diese Ehre für sein Lebtag glücklich machen wird.«
Der König stieg aus und verwunderte sich über das prächtige Gebäude,
das fast größer und schöner war als sein Schloß;
der Graf aber führte die Prinzessin die Treppe hinauf in den Saal,
der ganz von Gold und Edelsteinen flimmerte.
Da ward die Prinzessin mit dem Grafen versprochen,
und als der König starb, ward er König,
der gestiefelte Kater aber wurde erster Minister.
Die Bremer Stadtmusikanten
Es war einmal ein Mann, der hatte einen Esel, welcher schon lange Jahre unverdrossen die Säcke in die Mühle getragen hatte. Nun aber gingen die Kräfte des Esels zu Ende, so daß er zur Arbeit nicht mehr taugte. Da dachte der Herr daran, ihn wegzugehen. Aber der Esel merkte, daß sein Herr etwas Böses im Sinn hatte, lief fort und machte sich auf den Weg nach Bremen. Dort, so meinte er, könnte er ja Stadtmusikant werden.
Als er schon eine Weile gegangen war, fand er einen Jagdhund am Wege liegen, der jämmerlich heulte. "Warum heulst du denn so, Packan?" fragte der Esel.
"Ach", sagte der Hund, "weil ich alt bin, jeden Tag schwächer werde und auch nicht mehr auf die Jagd kann, wollte mich mein Herr totschießen. Da hab ich Reißaus genommen. Aber womit soll ich nun mein Brot verdienen?"
"Weißt du, was", sprach der Esel, "ich gehe nach Bremen und werde dort Stadtmusikant. Komm mit mir und laß dich auch bei der Musik annehmen. Ich spiele die Laute, und du schlägst die Pauken." Der Hund war einverstanden, und sie gingen mitsammen weiter.
Es dauerte nicht lange, da sahen sie eine Katze am Wege sitzen, die machte ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter. "Was ist denn dir in die Quere gekommen, alter Bartputzer?" fragte der Esel.
"Wer kann da lustig sein, wenn's einem an den Kragen geht", antwortete die Katze. "Weil ich nun alt bin, meine Zähne stumpf werden und ich lieber hinter dem Ofen sitze und spinne, als nach Mäusen herumjage, hat mich meine Frau ersäufen wollen. Ich konnte mich zwar noch davonschleichen, aber nun ist guter Rat teuer. Wo soll ich jetzt hin?"
"Geh mit uns nach Bremen! Du verstehst dich doch auf die Nachtmusik, da kannst du Stadtmusikant werden." Die Katze hielt das für gut und ging mit.
Als die drei so miteinander gingen, kamen sie an einem Hof vorbei. Da saß der Haushahn auf dem Tor und schrie aus Leibeskräften. "Du schreist einem durch Mark und Bein", sprach der Esel, "was hast du vor?"
"Die Hausfrau hat der Köchin befohlen, mir heute abend den Kopf abzusschlagen. Morgen, am Sonntag, haben sie Gäste, da wollen sie mich in der Suppe essen. Nun schrei ich aus vollem Hals, solang ich noch kann."
"Ei was" sagte der Esel, "zieh lieber mit uns fort, wir gehen nach Bremen, etwas Besseres als den Tod findest du überall. Du hast eine gute Stimme, und wenn wir mitsammen musizieren, wird es gar herrlich klingen." Dem Hahn gefiel der Vorschlag, und sie gingen alle vier mitsammen fort.
Sie konnten aber die Stadt Bremen an einem Tag nicht erreichen und kamen abends in einen Wald, wo sie übernachten wollten. Der Esel und der Hund legten sich unter einen großen Baum, die Katze kletterte auf einen Ast, und der Hahn flog bis in den Wipfel, wo es am sichersten für ihn war.
Ehe er einschlief, sah er sich noch einmal nach allen vier Windrichtungen um. Da bemerkte er einen Lichtschein. Er sagte seinen Gefährten, daß in der Nähe ein Haus sein müsse, denn er sehe ein Licht. Der Esel antwortete: "So wollen wir uns aufmachen und noch hingehen, denn hier ist die Herberge schlecht." Der Hund meinte, ein paar Knochen und etwas Fleisch daran täten ihm auch gut.
Also machten sie sich auf den Weg nach der Gegend, wo das Licht war. Bald sahen sie es heller schimmern, und es wurde immer größer, bis sie vor ein hellerleuchtetes Räuberhaus kamen. Der Esel, als der größte, näherte sich dem Fenster und schaute hinein.
"Was siehst du, Grauschimmel?" fragte der Hahn.
"Was ich sehe?" antwortete der Esel. "Einen gedeckten Tisch mit schönem Essen und Trinken, und Räuber sitzen rundherum und lassen sich's gutgehen!"
"Das wäre etwas für uns", sprach der Hahn.
Da überlegten die Tiere, wie sie es anfangen könnten, die Räuber hinauszujagen. Endlich fanden sie ein Mittel. Der Esel stellte sich mit den Vorderfüßen auf das Fenster, der Hund sprang auf des Esels Rücken, die Katze kletterte auf den Hund, und zuletzt flog der Hahn hinauf und setzte sich der Katze auf den Kopf. Als das geschehen war, fingen sie auf ein Zeichen an, ihre Musik zu machen: der Esel schrie, der Hund bellte, die Katze miaute, und der Hahn krähte. Darauf stürzten sie durch das Fenster in die Stube hinein, daß die Scheiben klirrten.
Die Räuber fuhren bei dem entsetzlichen Geschrei in die Höhe. Sie meinten, ein Gespenst käme herein, und flohen in größter Furcht in den Wald hinaus.
Nun setzten sie die vier Gesellen an den Tisch, und jeder aß nach Herzenslust von den Speisen, die ihm am besten schmeckten.
Als sie fertig waren, löschten sie das Licht aus, und jeder suchte sich eine Schlafstätte nach seinem Geschmack. Der Esel legte sich auf den Mist, der Hund hinter die Tür, die Katze auf den Herd bei der warmen Asche, und der Hahn flog auf das Dach hinauf. Und weil sie müde waren von ihrem langen Weg, schliefen sie bald ein.
Als Mitternacht vorbei war und die Räuber von weitem sahen, daß kein Licht mehr im Haus brannte und alles ruhig schien, sprach der Hauptmann: "Wir hätten uns doch nicht sollen ins Bockshorn jagen lassen." Er schickte einen Räuber zurück, um nachzusehen, ob noch jemand im Hause wäre.
Der Räuber fand alles still. Er ging in die Küche und wollte ein Licht anzünden. Da sah er die feurigen Augen der Katze und meinte, es wären glühende Kohlen. Er hielt ein Schwefelhölzchen daran, daß es Feuer fangen sollte. Aber die Katze verstand keinen Spaß, sprang ihm ins Gesicht und kratzte ihn aus Leibeskräften. Da erschrak er gewaltig und wollte zur Hintertür hinauslaufen. Aber der Hund, der da lag, sprang auf und biß ihn ins Bein. Als der Räuber über den Hof am Misthaufen vorbeirannte, gab ihm der Esel noch einen tüchtigen Schlag mit dem Hinterfuß. Der Hahn aber, der von dem Lärm aus dem Schlaf geweckt worden war, rief vom Dache herunter: "Kikeriki!"
Da lief der Räuber, was er konnte, zu seinem Hauptmann zurück und sprach: "Ach, in dem Haus sitzt eine greuliche Hexe, die hat mich angehaucht und mir mit ihren langen Fingern das Gesicht zerkratzt. An der Tür steht ein Mann mit einem Messer, der hat mich ins Bein gestochen. Auf dem Hof liegt ein schwarzes Ungetüm, das hat mit einem Holzprügel auf mich losgeschlagen. Und oben auf dem Dache, da sitzt der Richter, der rief: 'Bringt mir den Schelm her!' Da machte ich, daß ich fortkam."
Von nun an getrauten sich die Räuber nicht mehr in das Haus. Den vier Bremer Stadtmusikanten aber gefiel's darin so gut, daß sie nicht wieder hinaus wollten.
Aschenputtel
Einem reichen Manne, dem wurde seine Frau krank, und als sie fühlte, daß ihr Ende herankam, rief sie ihr einziges Töchterlein zu sich ans Bett und sprach: »Liebes Kind, bleib fromm und gut, so wird dir der liebe Gott immer beistehen, und ich will vom Himmel auf dich herabblicken und will um dich sein.« Darauf tat sie die Augen zu und verschied. Das Mädchen ging jeden Tag hinaus zu dem Grabe der Mutter und weinte und blieb fromm und gut. Als der Winter kam, deckte der Schnee ein weißes Tüchlein auf das Grab, und als die Sonne im Frühjahr es wieder herabgezogen hatte, nahm sich der Mann eine andere Frau.
Die Frau hatte zwei Töchter mit ins Haus gebracht, die schön und weiß von Angesicht waren, aber garstig und schwarz von Herzen. Da ging eine schlimme Zeit für das arme Stiefkind an.
»Soll die dumme Gans bei uns in der Stube sitzen«, sprachen sie, »wer Brot essen will, muß es verdienen: Hinaus mit der Küchenmagd.«
Sie nahmen ihm seine schönen Kleider weg, zogen ihm einen grauen alten Kittel an und gaben ihm hölzerne Schuhe. »Seht einmal die stolze Prinzessin, wie sie geputzt ist!« riefen sie, lachten und führten es in die Küche. Da mußte es vom Morgen bis Abend schwere Arbeit tun, früh vor Tag aufstehen, Wasser tragen, Feuer anmachen, kochen und waschen. Obendrein taten ihm die Schwestern alles ersinnliche Herzeleid an, verspotteten es und schütteten ihm die Erbsen und Linsen in die Asche, so daß es sitzen und sie wieder auslesen mußte. Abends, wenn es sich müde gearbeitet hatte, kam es in kein Bett, sondern mußte sich neben den Herd in die Asche legen. Und weil es darum immer staubig und schmutzig aussah, nannten sie es Aschenputtel.
Es trug sich zu, daß der Vater einmal in die Messe ziehen wollte, da fragte er die beiden Stieftöchter, was er ihnen mitbringen sollte.
»Schöne Kleider«, sagte die eine, »Perlen und Edelsteine«, die zweite.
»Aber du, Aschenputtel«, sprach er, »was willst du haben?« »Vater, das erste Reis, das Euch auf Eurem Heimweg an den Hut stößt, das brecht für mich ab.«
Er kaufte nun für die beiden Stiefschwestern schöne Kleider, Perlen und Edelsteine, und auf dem Rückweg, als er durch einen grünen Busch ritt, streifte ihn ein Haselreis und stieß ihm den Hut ab. Da brach er das Reis ab und nahm es mit. Als er nach Haus kam, gab er den Stieftöchtern, was sie sich gewünscht hatten, und dem Aschenputtel gab er das Reis von dem Haselbusch. Aschenputtel dankte ihm, ging zu seiner Mutter Grab und pflanzte das Reis darauf und weinte so sehr, daß die Tränen darauf niederfielen und es begossen. Es wuchs aber und ward ein schöner Baum. Aschenputtel ging alle Tage dreimal darunter, weinte und betete, und allemal kam ein weißes Vöglein auf den Baum, und wenn es einen Wunsch aussprach, so warf ihm das Vöglein herab, was es sich gewünscht hatte.
Es begab sich aber, daß der König ein Fest anstellte, das drei Tage dauern sollte und wozu alle schönen Jungfrauen im Lande eingeladen wurden, damit sich sein Sohn eine Braut aussuchen möchte. Die zwei Stiefschwestern, als sie hörten, daß sie auch dabei erscheinen sollten, waren guter Dinge, riefen Aschenputtel und sprachen: »Kämm uns die Haare, bürste uns die Schuhe und mache uns die Schnallen fest, wir gehen zur Hochzeit auf des Königs Schloß.«
Aschenputtel gehorchte, weinte aber, weil es auch gern zum Tanz mitgegangen wäre, und bat die Stiefmutter, sie möchte es ihm erlauben.
»Du Aschenputtel«, sprach sie, »bist voll Staub und Schmutz und willst zur Hochzeit? Du hast keine Kleider und Schuhe und willst tanzen!« Als es aber mit Bitten anhielt, sprach sie endlich: »Da habe ich dir eine Schüssel Linsen in die Asche geschüttet, wenn du die Linsen in zwei Stunden wieder ausgelesen hast, so sollst du mitgehen.«
Das Mädchen ging durch die Hintertüre nach dem Garten und rief: »Ihr zahmen Täubchen, ihr Turteltäubchen, all ihr Vöglein unter dem Himmel, kommt und helft mir lesen,
die guten ins Töpfchen,
die schlechten ins Kröpfchen. -
Da kamen zum Küchenfenster zwei weiße Täubchen herein und danach die Turteltäubchen, und endlich schwirrten und schwärmten alle Vögel unter dem Himmel herein und ließen sich um die Asche nieder. Und die Täubchen nickten mit den Köpfchen und fingen an pick, pick, pick, pick, und da fingen die übrigen auch an pick, pick, pick, pick und lasen alle guten Körnlein in die Schüssel. Kaum war eine Stunde herum, so waren sie schon fertig und flogen alle wieder hinaus. Da brachte das Mädchen die Schüssel der Stiefmutter, freute sich und glaubte, es dürfte nun mit auf die Hochzeit gehen. Aber sie sprach: »Nein, Aschenputtel, du hast keine Kleider und kannst nicht tanzen; du wirst nur ausgelacht.«
Als es nun weinte, sprach sie: »Wenn du mir zwei Schüsseln voll Linsen in einer Stunde aus der Asche rein lesen kannst, so sollst du mitgehen«, und dachte: Das kann es ja nimmermehr. Als sie die zwei Schüsseln Linsen in die Asche geschüttet hatte, ging das Mädchen durch die Hintertüre nach dem Garten und rief: »Ihr zahmen Täubchen, ihr Turteltäubchen, all ihr Vöglein unter dem Himmel, kommt und helft mir lesen,
die guten ins Töpfchen,
die schlechten ins Kröpfchen.«
Da kamen zum Küchenfenster zwei weiße Täubchen herein und danach die Turteltäubchen, und endlich schwirrten und schwärmten alle Vöglein unter dem Himmel herein und ließen sich um die Asche nieder. Und die Täubchen nickten mit ihren Köpfchen und fingen an pick, pick, pick, pick, und da fingen die übrigen auch an pick, pick, pick, pick und lasen alle guten Körner in die Schüsseln. Und eh eine halbe Stunde herum war, waren sie schon fertig und flogen alle wieder hinaus. Da trug das Mädchen die Schüsseln zu der Stiefmutter, freute sich und glaubte, nun dürfte es mit auf die Hochzeit gehen. Aber sie sprach: »Es hilft dir alles nichts: Du kommst nicht mit, denn du hast keine Kleider und kannst nicht tanzen; wir müßten uns deiner schämen.« Darauf kehrte sie ihm den Rücken zu und eilte mit ihren zwei stolzen Töchtern fort.
Als nun niemand mehr daheim war, ging Aschenputtel zu seiner Mutter Grab unter den Haselbaum und rief:
»Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich,
wirf Gold und Silber über mich.«
Da warf ihm der Vogel ein golden und silbern Kleid herunter und mit Seide und Silber ausgestickte Pantoffeln. In aller Eile zog es das Kleid an und ging zur Hochzeit. Seine Schwestern aber und die Stiefmutter kannten es nicht und meinten, es müßte eine fremde Königstochter sein, so schön sah es in dem goldenen Kleide aus. An Aschenputtel dachten sie gar nicht und dachten, es säße daheim im Schmutz und suchte die Linsen aus der Asche. Der Königssohn kam ihm entgegen, nahm es bei der Hand und tanzte mit ihm. Er wollte auch mit sonst niemand tanzen, also daß er ihm die Hand nicht loßließ, und wenn ein anderer kam, es aufzufordern, sprach er: »Das ist meine Tänzerin.«
Es tanzte, bis es Abend war, da wollte es nach Hause gehen. Der Königssohn aber sprach: »Ich gehe mit und begleite dich«, denn er wollte sehen, wem das schöne Mädchen angehörte. Sie entwischte ihm aber und sprang in das Taubenhaus. Nun wartete der Königssohn, bis der Vater kam, und sagte ihm, das fremde Mädchen war in das Taubenhaus gesprungen. Der Alte dachte: Sollte es Aschenputtel sein? Und sie mußten ihm Axt und Hacken bringen, damit er das Taubenhaus entzweischlagen konnte: Aber es war niemand darin. Und als sie ins Haus kamen, lag Aschenputtel in seinen schmutzigen Kleidern in der Asche, und ein trübes Öllämpchen brannte im Schornstein; denn Aschenputtel war geschwind aus dem Taubenhaus hinten herabgesprungen und war zu dem Haselbäumchen gelaufen; da hatte es die schönen Kleider abgezogen und aufs Grab gelegt, und der Vogel hatte sie wieder weggenommen, und dann hatte es sich in seinem grauen Kittelchen in die Küche zur Asche gesetzt.
Am andern Tag, als das Fest von neuem anhub und die Eltern und Stiefschwestern wieder fort waren, ging Aschenputtel zu dem Haselbaum und sprach:
»Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich,
wirf Gold und Silber über mich.«
Da warf der Vogel ein noch viel stolzeres Kleid herab als am vorigen Tag. Und als es mit diesem Kleide auf der Hochzeit erschien, erstaunte jedermann über seine Schönheit. Der Königssohn aber hatte gewartet, bis es kam, nahm es gleich bei der Hand und tanzte nur allein mit ihm. Wenn die andern kamen und es aufforderten, sprach er: »Das ist meine Tänzerin.« Als es nun Abend war, wollte es fort, und der Königssohn ging ihm nach und wollte sehen, in welches Haus es ging; aber es sprang ihm fort und in den Garten hinter dem Haus. Darin stand ein schöner großer Baum, an dem die herrlichsten Birnen hingen, es kletterte so behend wie ein Eichhörnchen zwischen die Äste, und der Königssohn wußte nicht, wo es hingekommen war. Er wartete aber, bis der Vater kam, und sprach zu ihm: »Das fremde Mädchen ist mir entwischt, und ich glaube, es ist auf den Birnbaum gesprungen.« Der Vater dachte: Sollte es Aschenputtel sein? - ließ sich die Axt holen und hieb den Baum um, aber es war niemand darauf.
Und als sie in die Küche kamen, lag Aschenputtel da in der Asche wie sonst auch, denn es war auf der andern Seite vom Baum herabgesprungen, hatte dem Vogel auf dem Haselbäumchen die schönen Kleider wiedergebracht und sein graues Kittelchen angezogen.
Am dritten Tag, als die Eltern und Schwestern fort waren, ging Aschenputtel wieder zu seiner Mutter Grab und sprach zu dem Bäumchen:
»Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich,
wirf Gold und Silber über mich.«
Nun warf ihm der Vogel ein Kleid herab, das war so prächtig und glänzend, wie es noch keins gehabt hatte, und die Pantoffeln waren ganz golden. Als es in dem Kleid zu der Hochzeit kam, wußten sie alle nicht, was sie vor Verwunderung sagen sollten. Der Königssohn tanzte ganz allein mit ihm, und wenn es einer aufforderte, sprach er: »Das ist meine Tänzerin.«
Als es nun Abend war, wollte Aschenputtel fort, und der Königssohn wollte es begleiten, aber es entsprang ihm so geschwind, daß er nicht folgen konnte. Der Königssohn hatte aber eine List gebraucht und hatte die ganze Treppe mit Pech bestreichen lassen: Da war, als es hinabsprang, der linke Pantoffel des Mädchens hängengeblieben. Der Königssohn hob ihn auf, und er war klein und zierlich und ganz golden. Am nächsten Morgen ging er damit zu dem Mann und sagte zu ihm: »Keine andere soll meine Gemahlin werden als die, an deren Fuß dieser goldene Schuh paßt.« Da freuten sich die beiden Schwestern, denn sie hatten schöne Füße.
Die älteste ging mit dem Schuh in die Kammer und wollte ihn anprobieren, und die Mutter stand dabei. Aber sie konnte mit der großen Zeh nicht hineinkommen, und der Schuh war ihr zu klein. Da reichte ihr die Mutter ein Messer und sprach: »Hau die Zehe ab: Wann du Königin bist, so brauchst du nicht mehr zu Fuß zu gehen.« Das Mädchen hieb die Zehe ab, zwängte den Fuß in den Schuh, verbiß den Schmerz und ging heraus zum Königssohn. Da nahm er sie als seine Braut aufs Pferd und ritt mit ihr fort. Sie mußten aber an dem Grabe vorbei, da saßen die zwei Täubchen auf dem Haselbäumchen und riefen:
»Rucke di guck, rucke di guck,
Blut ist im Schuck;
der Schuck ist zu klein,
die rechte Braut sitzt noch daheim.«
Da blickte er auf ihren Fuß und sah, wie das Blut herausquoll. Er wendete sein Pferd um, brachte die falsche Braut wieder nach Haus und sagte, das wäre nicht die rechte, die andere Schwester sollte den Schuh anziehen. Da ging diese in die Kammer und kam mit den Zehen glücklich in den Schuh, aber die Ferse war zu groß. Da reichte ihr die Mutter ein Messer und sprach: »Hau ein Stück von der Ferse ab: Wann du Königin bist, brauchst du nicht mehr zu Fuß zu gehen.« Das Mädchen hieb ein Stück von der Ferse ab, zwängte den Fuß in den Schuh, verbiß den Schmerz und ging heraus zum Königssohn.
Da nahm er sie als seine Braut aufs Pferd und ritt mit ihr fort. Als sie an dem Haselbäumchen vorbeikamen, saßen die zwei Täubchen darauf und riefen:
»Rucke di guck, rucke di guck,
Blut ist im Schuck;
der Schuck ist zu klein,
die rechte Braut sitzt noch daheim.«
Er blickte nieder auf ihren Fuß und sah, wie das Blut aus dem Schuh quoll und an den weißen Strümpfen ganz rot heraufgestiegen war. Da wendete er sein Pferd und brachte die falsche Braut wieder nach Haus.
»Das ist auch nicht die rechte«, sprach er, »habt Ihr keine andere Tochter?«
»Nein«, sagte der Mann, »nur von meiner verstorbenen Frau ist noch ein kleines, verkümmertes Aschenputtel da; das kann unmöglich die Braut sein.«
Der Königssohn sprach, er sollte es heraufschicken, die Mutter aber antwortete: »Ach nein, das ist viel zu schmutzig, das darf sich nicht sehen lassen.« Er wollte es aber durchaus haben, und Aschenputtel mußte gerufen werden. Da wusch es sich erst Hände und Angesicht rein, ging dann hin und neigte sich vor dem Königssohn, der ihm den goldenen Schuh reichte. Dann setzte es sich auf einen Schemel, zog den Fuß aus dem schweren Holzschuh und steckte ihn in den Pantoffel, der war wie angegossen. Und als es sich in die Höhe richtete und der König ihm ins Gesicht sah, so erkannte er das schöne Mädchen, das mit ihm getanzt hatte, und rief: »Das ist die rechte Braut!«
Die Stiefmutter und die beiden Schwestern erschraken und wurden bleich vor Ärger. Er aber nahm Aschenputtel aufs Pferd und ritt mit ihm fort. Als sie an dem Haselbäumchen vorbeikamen, riefen die zwei weißen Täubchen:
»Rucke di guck, rucke di guck,
kein Blut im Schuck;
der Schuck ist nicht zu klein,
die rechte Braut, die führt er heim.«
Und als sie das gerufen hatten, kamen sie beide herabgeflogen und setzten sich dem Aschenputtel auf die Schultern, eine rechts, die andere links, und blieben da sitzen.
Der Wolf und die sieben jungen Geißlein
Es war einmal eine alte Geiß, die hatte sieben junge Geißlein. Sie hatte sie so lieb, wie eben eine Mutter ihre Kinder liebhat. Eines Tages wollte sie in den Wald gehen und Futter holen. Da rief sie alle sieben herbei und sprach: »Liebe Kinder, ich muß hinaus in den Wald. Seid inzwischen brav, sperrt die Türe gut zu und nehmt euch in acht vor dem Wolf! Wenn er hereinkommt, frißt er euch mit Haut und Haaren. Der Bösewicht verstellt sich oft, aber an seiner rauhen Stimme und an seinen schwarzen Füßen werdet ihr ihn gleich erkennen.«
Die Geißlein sagten: »Liebe Mutter, wir wollen uns schon in acht nehmen, du kannst ohne Sorge fortgehen.« Da meckerte die Alte und machte sich getrost auf den Weg.
Es dauerte nicht lange, da klopfte jemand an die Haustür und rief: »Macht auf, ihr lieben Kinder, eure Mutter ist da und hat jedem von euch etwas mitgebracht!« Aber die Geißlein hörten an der rauhen Stimme, daß es der Wolf war. »Wir machen nicht auf«, riefen sie, »du bist nicht unsere Mutter. Die hat eine feine und liebliche Stimme, deine Stimme aber ist rauh. Du bist der Wolf!«
Da ging der Wolf fort zum Krämer und kaufte sich ein großes Stück Kreide. Er aß es auf und machte damit seine Stimme fein. Dann kam er zurück, klopfte an die Haustür und rief: »Macht auf, ihr lieben Kinder, eure Mutter ist da und hat jedem von euch etwas mitgebracht!«
Aber der Wolf hatte seine schwarze Pfote auf das Fensterbrett gelegt. Das sahen die Kinder und riefen: »Wir machen nicht auf! Unsere Mutter hat keinen schwarzen Fuß wie du. Du bist der Wolf!«
Da lief der Wolf zum Bäcker und sprach: »Ich habe mir den Fuß angestoßen, streich mir Teig darüber!«
Als ihm der Bäcker die Pfote bestrichen hatte, lief er zum Müller und sprach: »Streu mir weißes Mehl auf meine Pfote!« Der Müller dachte, der Wolf wolle jemanden betrügen, und weigerte sich. Aber der Wolf sprach: »Wenn du es nicht tust, fresse ich dich!« Da fürchtete sich der Müller und machte ihm die Pfote weiß.
Nun ging der Bösewicht zum dritten Mal zu der Haustür, klopfte an und sprach: »Macht auf, Kinder, euer liebes Mütterchen ist heimgekommen und hat jedem von euch etwas aus dem Wald mitgebracht!«
Die Geißlein riefen: »Zeig uns zuerst deine Pfote, damit wir wissen, daß du unser liebes Mütterchen bist.«
Da legte der Wolf die Pfote auf das Fensterbrett. Als die Geißlein sahen, daß sie weiß war, glaubten sie, es wäre alles wahr, was er sagte, und machten die Türe auf.
Wer aber hereinkam, war der Wolf! Die Geißlein erschraken und wollten sich verstecken. Das eine sprang unter den Tisch, das zweite ins Bett, das dritte in den Ofen, das vierte in die Küche, das fünfte in den Schrank, das sechste unter die Waschschüssel, das siebente in den Kasten der Wanduhr. Aber der Wolf fand sie und verschluckte eines nach dem andern. Nur das jüngste in dem Uhrkasten, das fand er nicht.
Als der Wolf satt war, trollte er sich fort, legte sich draußen auf der grünen Wiese unter einen Baum und fing an zu schlafen.
Nicht lange danach kam die alte Geiß aus dem Walde wieder heim. Ach, was mußte sie da erblicken! Die Haustür stand sperrangelweit offen, Tisch, Stühle und Bänke waren umgeworfen, die Waschschüssel lag in Scherben, Decken und Polster waren aus dem Bett gezogen. Sie suchte ihre Kinder, aber nirgends waren sie zu finden. Sie rief sie nacheinander bei ihren Namen, aber niemand antwortete. Endlich, als sie das jüngste rief, antwortete eine feine Stimme: »Liebe Mutter, ich stecke im Uhrkasten!«
Da holte die Mutter das junge Geißlein aus seinem Versteck heraus, und es erzählte ihr, daß der Wolf gekommen wäre und die anderen alle gefressen hätte. Ihr könnt euch denken, wie da die alte Geiß über ihre armen Kinder geweint hat!
Endlich ging sie in ihrem Jammer hinaus, und das jüngste Geißlein lief mit. Als sie auf die Wiese kamen, lag der Wolf immer noch unter dem Baum und schnarchte, daß die Äste zitterten. Die alte Geiß betrachtete ihn von allen Seiten und sah, daß in seinem vollen Bauch sich etwas regte und zappelte. Ach, Gott, dachte sie, sollten meine armen Kinder, die er zum Nachtmahl hinuntergewürgt hat, noch am Leben sein?
Da mußte das Geißlein nach Hause laufen und Schere, Nadel und Zwirn holen. Dann schnitt die alte Geiß dem Bösewicht den Bauch auf. Kaum hatte sie den ersten Schnitt getan, da streckte auch schon ein Geißlein den Kopf heraus. Und als sie weiterschnitt, sprangen nacheinander alle sechs heraus. Sie waren alle heil und gesund, denn der Wolf hatte sie in seiner Gier ganz hinuntergeschluckt.
Das war eine Freude! Da herzten sie ihre liebe Mutter und hüpften wie Schneider bei einer Hochzeit. Die Alte aber sagte: »Jetzt geht und sucht große Steine, damit wollen wir dem bösen Tier den Bauch füllen, solange es noch im Schlafe liegt.«
Da schleppten die sieben Geißlein in aller Eile Steine herbei und steckten ihm so viele in den Bauch, als sie nur hineinbringen konnten. Dann nähte ihn die Alte in aller Geschwindigkeit wieder zu, so daß der Wolf nichts merkte und sich nicht einmal regte.
Als er endlich ausgeschlafen war, machte er sich auf die Beine. Und weil ihm die Steine im Magen großen Durst verursachten, wollte er zu einem Brunnen gehen und trinken. Als er aber anfing zu laufen, stießen die Steine in seinem Bauch aneinander und zappelten. Da rief er:
»Was rumpelt und pumpelt
In meinem Bauch herum?
Ich meinte, es wären sechs Geißelein,
Doch sind's lauter Wackerstein.»
Und als er an den Brunnen kam und sich über das Wasser bückte und trinken wollte, da zogen ihn die schweren Steine hinein, und er mußte jämmerlich ersaufen.
Als die sieben Geißlein das sahen, kamen sie eilig herbeigelaufen und riefen laut: »Der Wolf ist tot! Der Wolf ist tot!« Und sie faßten einander an den Händen und tanzten mit ihrer Mutter vor Freude um den Brunnen herum.